Im Jahre 1905 umspülte die Zorge fast den Nordostfuß des Kohnsteins. Heute liegen zwischen beiden mehrere hundert Meter. Der auf der Postkarte sichtbare Teil des Kohnsteins wurde zu Schwefelsäure und Gipskartonplatten verarbeitet. Diese können nicht „renaturiert“ werden.Hier im Gebiet des Südharzer Zechsteinrandes leistet die Wirtschaft einen rigorosen Beitrag zur Verlängerung der Roten Listen. Gerade schickt sich die Gipsindustrie an, Vorschläge für die so genannte Renaturierung des Steinbruches am Kohnstein zu unterbreiten und präsentiert sich selbst als möglichen Vollstrecker. Dies der Bevölkerung als Wohltat zu verkaufen, verbietet sich aber. Denn die Beseitigung von durch den Bergbau angerichteten Schäden durch die Verursacher dürfte zum einen selbstverständlich sein.
Der Industrie muss das Wasser schon kurz unter den Ohrmuscheln stehen, wenn sich mehrere, letztlich konkurrierende Firmen genötigt sehen, gemeinsam ein derartiges Projekt zu verfolgen. Eine wirkliche Beseitigung der Schäden ist aber genau betrachtet gar nicht möglich. Dem Luftbild nach, dürfte dem Kohnstein gut ein Drittel seiner bisherigen Masse entrissen worden sein. Postkarten aus der Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeigen die Zorge tatsächlich am Fuße des Kohnsteins fließend. Heute liegen die oberen Ränder des Steinbruches mehrere hundert Meter westlich des Flusses!
Hier wurde Landschaft, wie auch im Raum Ellrich und im Alten Stolberg, im wahrsten Wortsinne vernichtet.
Das Wort „Renaturierung“ würde wörtlich übersetzt bedeuten, die ursprünglich dort gegebenen natürlichen Verhältnisse quasi 1:1 zurückzubringen. Niemand aber kann den abgebauten Kohnsteinteil zurückbringen und damit auch nicht die dort einst herrschende, ursprüngliche Vielfalt an Biotoptypen, Pflanzen- sowie Tiergemeinschaften.
Die früher dort u.a. siedelnden Blaugrasrasen beispielsweise könnten wenigstens zum Teil natürlichen Ursprunges gewesen sein, das heißt, eine Bewaldung fand auf Grund der Steilheit des Geländes, wie wahrscheinlich an Teilen des Mühlbergs in Niedersachswerfen, wenigstens stellenweise nicht statt. Wird die ursprüngliche Vegetation aber entfernt, dann kann es dort niemals wieder eine ursprüngliche Vegetation geben. Diese ist einmalig und unersetzlich.
Das Vorhaben, eine denaturierte Fläche „renaturieren“ zu wollen, kann also nur als Firlefanz bezeichnet werden. Es geht der Industrie einzig und allein darum, die in der Bevölkerung und in der Politik herrschende Antigipsabbaustimmung zu ihren Gunsten zu drehen.
Der am Kohnstein angerichtete Schaden ist aber zum anderen nicht wieder gut zumachen. Die besonderen Ausbildungsformen der Blaugrasrasen im Gebiet werden von verschiedenen Autoren als endemisch für Europa bezeichnet, sie gelten hier im Zechsteingebiet als einzige außerhalb der Alpen siedelnde („dealpine“) Reliktrasen (nach MEUSEL 1939).
Der Schaden ist auch deshalb nicht wieder gut zumachen, weil der Kohnsteinsteinbruch und all die anderen Steinbrüche eine Vielzahl heute bedrohter und teils gesetzlich geschützter Pflanzenarten vernichteten und vernichten. Diese haben sich überwiegend im Zuge der nacheiszeitlichen Entwicklung und durch eine extensive, d.h. naturschonende menschliche Wirtschaftsweise über Jahrtausende angesiedelt. Diese Arten sind z.T. hochsensibel, d.h. sie benötigen ein ganz bestimmtes Zusammenspiel unterschiedlicher Standortaktoren, die für so viele vernichtete Arten nicht künstlich geschaffen werden können.
Lassen Sie sich von der Industrie nicht einreden, sie könne alles wieder gut machen, neue Steinbrüche seien doch gar nicht so schlimm. Schauen Sie in die Welt hinaus: Die Wirtschaft hat den Planeten ökologisch an den Rand des Abgrunds designt. Der Mensch und seine Umwelt interessieren sie nur insofern, dass sie ihren Kapitalinteressen dienlich sind. Selbiges kann man am Verhalten der Gipsunternehmen gerade ausgiebig studieren. Eine Einheit von Ökonomie und Ökologie gibt es nicht, die Wirtschaft beweist dies tagtäglich. Nicht nur mit dem Abgasskandal. Lassen wir uns also nicht wie unwissende Eingeborene in den tropischen Regenwäldern Südamerikas über den Tisch ziehen.
In mehreren Teilen werde ich eine Liste von Arten präsentieren, die einst am Kohnstein siedelten, meist seit langem aber hier nicht mehr vorkommen. Als Literaturquelle dient die „Flora von Nordhausen und der weiteren Umgegend“ von 1886, geschrieben von den Botanikern A. VOCKE und C. ANGELRODT. Die von mir aus der Literaturquelle zusammengestellten Arten bevorzugen überwiegend Bedingungen, wie sie einst am verwerteten Ost- bzw. Nordostrand des Berges herrschten. Bei einigen Arten schreiben die Autoren auch konkret vom Ostrand des Kohnsteins als ehemaligen Wuchsort. Die Angaben hinter dem deutschen Namen beziehen sich auf die aktuell gültige Thüringer bzw. auf die deutsche Liste gefährdeter Gefäßpflanzenarten (RL 2=stark gefährdet, RL 3=gefährdet, ein „§“ kennzeichnet den Schutz nach Bundesnaturschutzgesetz).
Neben den genannten Botanikern VOCKE und ANGELRODT kann unter anderen auch der ehemalige hallesche Botanik-Professor Hermann MEUSEL (1909-1997) als wichtiger, wissenschaftlicher Zeitzeuge der Vernichtung benannt werden: Die damaligen Vegetationsverhältnisse u.a. am Kohnstein beschreibt er im Jahre 1939 ausführlich in seiner grundlegenden Arbeit „Die Vegetationsverhältnisse der Gipsberge am Kyffhäuser und im südlichen Harzvorland“.
MEUSEL setzte sich, wie auch der frühere, mit dem Bundesverdienstkreuz geehrte ehemalige Nordhäuser Kreisnaturschutzbeauftragte, das Kreistagsmitglied Dr. Walter ELMER (1913-2008), massiv für die Erhaltung unserer artenreichen Landschaft ein. MEUSEL schrieb 1939: „An der steilen Nordostwand dieses Berges müssen einst ausgedehnte Grasheiden vorgekommen sein. Heute ist fast alles durch Steinbruchbetrieb zerstört. Aber selbst die wenigen Reste bei der Schnabelsburg weisen noch eine sehr reiche Vegetation auf.“
MEUSEL dürfte sich kaum vorgestellt haben können, wie sich das Abbaugeschehen nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute entwickeln würde. Die Rasengesellschaften und wärmeliebenden Gebüsche, die er noch sah und beschrieb, wurden mit dem Gestein weggesprengt.
Folgende, bedrohte oder geschützte Pflanzenarten wurden, gemäß VOCKE & ANGELRODT (1886) und teils auch nach MEUSEL (1939) einst am Kohnstein nachgewiesen, die meisten in Pflanzengesellschaften, die vom abgebauten Teil des Berges beschrieben wurden (Teil 1).:
- Pulsatilla vulgaris (Gewöhnliche Kuhschelle) RL 3/3/&
- Anemone sylvestris (Großes Windröschen) RL -/3/§
- Aconitum lycoctonum (Gelber Eisenhut) RL-/-/§
- Arabis sagittata (Pfeilblättrige Gänsekresse) – Wiederfund weniger fruchtender Pflanzen durch den Autor am oberen Steinbruchrand 2015 RL 2/-
- Biscutella laevigata ssp. tenuifolia (Schmalblättriges Brillenschötchen), die Sippe kommt heute weltweit nur noch an einer Stelle im Südharzer Zechsteingebiet vor. Der Endemismus der Unterart (bzw. ihre genetische Identität) ist jedoch nicht zweifelsfrei bewiesen. In jedem Fall aber gehört das Brillenschötchen zu den besonders schwerwiegenden Verlusten des Kohnstein-Steinbruchs. RL 2/2/§
- Fumana procumbens (Nadelröschen) RL 2/3
- Parnassia palustris (Sumpf-Herzblatt) RL 2/3
- Viola collina (Hügel-Veilchen) RL 2/2
- Dianthus armeria (Rauhe Nelke) RL 2/-
- Genista germanica (Deutscher Ginster) 3/-
Teil 2 folgt
Bodo Schwarzberg
Quellen:
KORNECK, D, SCHNITTLER, M. & VOLLMER, I. (1996): Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) Deutschlands. – Schriftenreihe Vegetationsk. 28: 21-187.
Korsch, H., W. Westhus, K. HORN & W. JANSEN (2011): Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) Thüringens. – Naturschutzreport 26: 365-390.
MEUSEL, H. (1939): Die Vegetationsverhältnisse der Gipsberge im Kyffhäuser und im
südlichen Harzvorland. – Hercynia 2: 1-372
VOCKE, A. & ANGELRODT, C. (1886): Flora von Nordhausen und der weiteren Umgebung. Berlin.